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Dienstag, 31. Mai 2016

Quickie #2

in loser Reihenfolge, kurz & knackig oder was bisher geschah....




1. "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke " Joachim Meyerhoff

Der letzte Teil der Auto-Bio-Trio-Logie. Unglaublich gut, wie auch auch die beiden davor. Und wieder eine unvergessliche Großmutter für meine literarische Lieblings-Oma-Ahnengalerie (kurzer Hinweis auf die Oma der Trümmergöre von Monika Held und der Großmama aus Adams Erbe von Frau Rosenfeld. Die würden sich alle prächtig verstehen). 
Und gleichzeitig das sympathischste Alkoholikerpärchen, von dem ich je gelesen habe. Ich ende mit einem Universalzitat von Herrn Meyerhoffs Großmutter : "Moooooahhhhh"

2. "Wellen" Eduard von Keyserling

Ab und zu einen Klassiker lesen ist gut für Einbildung. Mit den handlichen Manesse Formaten kann man auch in der Öffentlichkeit punkten, sieht  gebildet & kultiviert aus. Man sollte natürlich vorher das Publikum checken, Keyserling wird den handelsüblichen McDonaldianer eher nicht beeindrucken.
Ach so, das Buch. Ja, klare Empfehlung.

3. "Der Report der Magd" Margaret Atwood

Eine sehr atmosphärische Gesellschaftsutopie, auch schon fast ein moderner Klassiker. Die Geschichte der Magd Desfred in einem totalitären, frauenfeindlichen System hat mich atemlos lesen lassen. Herr Schlöndorff hat den Roman unter dem Titel "Die Geschichte der Dienerin" verfilmt; steht nach der Lektüre jetzt weit oben auf meiner "muss-ich-gucken-Liste".

4. "In der Nacht" Dennis Lehane

Noch so ein Buch, um das ich lange herumgeschlichen bin , irgendein anderes schrie immer lauter. Was ein Glück, dass ich es, in einer kurzen Phase als die ganzen Schreihälse heiser waren, schnell einpackte, denn mir wäre wirklich was entgangen. Ein Buch wie ein Gangsterfilm, packend und kurzweilig. Es gibt eine Fortsetzung, tschakkkkkkaaaa !!

Sonntag, 29. Mai 2016

Joaquín Sorolla - Meister des Lichts

Als begeisterter Zuschauer der 3sat Serie "Beltracci - Der Meisterfälscher " kam ich zu einem  Aha-Erlebnis der besonders schönen Art.
Herr Beltracci malt Emil, den Schweizer Komiker, im Garten seiner ehemaligen Villa in Südfrankreich und nimmt sich aufgrund des besonderen Lichtes einen Künstler zum Vorbild, von dem ich noch wenig bis nichts gehört hatte : 
Joaquín Sorolla,  Spaniens  berühmtester Maler des Impressionismus. Wohlgemerkt, berühmt in Spanien.


Joaquín Sorolla, Selbstbildnis, 1904, Museo Sorolla, Madrid

Beim Auffüllen meiner Wissenslücke half mir der wunderbare Ausstellungskatalog zur gerade stattfindenden großen Retrospektive des Künstlers in der Münchener Kunsthalle (noch bis zum 03. Juli), der im Hirmer Verlag erschienen ist :



Der Frage, warum Sorolla in Deutschland so unbekannt ist, hat Ariane Mensger, eine der Autorinnen,  ein eigenes Essay gewidmet : "Sorolla und Deutschland - eine verhinderte Erfolgsgeschichte?"
So führt Mensger als einen Grund die Tatsache an, dass nicht ein einziges öffentliches Museum in Deutschland ein Gemälde Sorollas besitzt und das, obwohl er hier zu Lebzeiten regelmäßig an Kunstausstellung  teilnahm.


Joaquín Sorolla, Valencianische Fischer, 1895, Sammlung Broere Charitable Foundation
Andere Essays (unter anderem auch eines seiner  Enkeltochter Blanca Pons-Sorolla) befassen sich mit Sorollas Beziehungen zum Pariser Kunstmarkt, seinen Künstlerkollegen und den Ausstellungen; allesamt informativ und lesenswert.
Sorolla, der sich zu Beginn seiner Karriere in Farbwahl & Realismus an seinem Vorbild Velazquez orientiert, wird immer mehr zum Maler des Lichts. Seine Gemälde von Meer und Strand flirren geradezu, seine Farbpalette wird zunehmend heller , die Inhalte unbeschwerter. 
Ein Augenschmaus, die Seele seufzt glücklich.

Joaquín Sorolla, Kinder am Meeresufer, 1903, mit freundlicher Genehmigung des Philadelphia Museum of Art: Erworben mit Mitteln aus dem W.P. Wilsatach Fund, 1904


Mein Fazit : wenn Sie etwas Sonne brauchen, nehmen Sie diesen Bildband in die Hände ! Falls nicht plötzlich ein verschollenes Gemälde Vermeers auftaucht, meine persönliche Kunstentdeckung des Jahres. 



Joaquín Sorolla

Spaniens Meister des Lichts



248 Seiten, 181 Abbildungen in Farbe und S/W
Hirmer Verlag

978-3-7774-2563-4

Freitag, 27. Mai 2016

Quickie #1 - Auch eine Sicht der Dinge

Anlässlich der Herbstvorschau des Diogenes Verlages, hyperhyper, die einen neuen Roman des von mir innig geliebten Schriftstellers Leon de Winter ankündigt, ein Quickie aus seinem 1999 erschienen Roman "Sokolows Universum" :




kurze Einführung ins Geschehen (kürzer geht kaum) : jemand wurde ermordet.

"....aber für den Physiker Sokolow war kaum etwas geschehen. Die Atomkerne der Zucker- und Phosphatmoleküle der DNS des Ermordeten waren vor Milliarden Jahren durch das Universum getaumelt und zufällig im Körper dieses Mannes zusammengekommen.
Und die Bausteine der Protonen und Neutronen des Atomkerns bestanden aus Quarktrios, die in den allerersten Sekunden nach der Geburt des Universums entstanden waren.
So weit die Wissenschaft, die alles erklärte und nichts beschönigte.
Und die Familie des Toten weinte um achtzig Kilogramm Quarktrios, die fünfzehn Milliarden Jahre alt waren. Tränen um das All."

Ist das nicht poetisch ?
Lesen Sie alle Leon de Winter, es wird Ihnen nicht zum Nachteil gereichen....

Dienstag, 24. Mai 2016

Pariser Symphonie

Die Schriftstellerin Irène Némirovsky, geboren zu Anfang des letzten Jahrhunderts, wurde Ende der Zwanziger Jahre, nach der Veröffentlichung ihres ersten Romanes "David Golder"  zum Star der Pariser Literaturszene.  Als Tochter eines jüdischen Bankiers führte sie auch nach der Flucht vor der Oktoberrevolution 1919 nach Paris, ein privilegiertes Leben. Irène studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne und wurde als Schriftstellerin eine anerkannte Stimme . Nach der Besetzung Frankreichs durch die Nazis wurde die Familie gezwungen Paris zu verlassen. Irène, die ihr Schicksal wohl voraussah, schrieb viel in der ihr verbleibenden Zeit, darunter auch ihr bekanntestes Werk, die "Suite française". 1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert und kam kurz darauf um.



In der kürzlich bei Manesse erschienen "Pariser Symphonie" sind Erzählungen versammelt, die teilweise bereits zu Lebzeiten der Autorin veröffentlicht  waren, sowie einige bis dato unveröffentlichte.
Zwei der insgesamt 11 Erzählungen, darunter auch die Titelgeschichte "Pariser Symphonie" sind angelegt als Filmskizzen, lesen sich wie Drehbücher und unterscheiden sich stilistisch zu den neun klassisch erzählten . 
In allen Geschichten, ob drei oder sechzig Seiten lang,  dreht es sich um die zeitlosen Themen Liebe, Leidenschaft, Tod, gerne auch etwas Übernatürliches und Okkultismus. Schicksal eben.


tolles Cover!
Némirovsky ist eine genaue Beobachterin, sie zeichnet Charaktere sehr pointiert. Ihr Erzählstil ist verblüffend modern, das Menschenbild, das sie beschreibt nicht immer (mehr?) ....

Sehr bewegend und informativ ist das Nachwort von Sandra Kegel, das den Hintergrund des Lebens und Werkes der Autorin beleuchtet und mit  Zitaten anrührt:

 "Das Schicksal kündigte sich mit einem Schlag an, wie die Schriftstellerin ihn nicht hätte erfinden mögen. "Ich habe meinen Füller verloren", notiert Irène Némirovsky im Juni 1942. Dann erst widmet sie sich den weiteren Aspekten einer ins Grauen führenden, sehr nahen Zukunft : " Es gibt auch noch andere Sorgen wie z.B. drohendes Konzentrationslager.""

Mein Fazit:  Nicht alle Geschichten überzeugen mich inhaltlich, stilistisch schon. Lohnenswert ist die Lektüre allenfalls; für mich ist sie Anstoß, mich mit den Romanen von Irène Némirovsky zu beschäftigen.




Irène Némirovsky

Pariser Symphonie


240 Seiten
Manesse
978-3717524120



Donnerstag, 19. Mai 2016

Salon- und andere Frauen


Der  Elisabeth Sandmann Verlag aus München publiziert nach eigener Aussage "schöne Bücher für kluge Frauen", damit gemeint sind meist großformatige, illustrierte Bücher deren zentrales Thema die Geschichte bzw. Biographien von Frauen in Bereichen der Kunst, Literatur, Architektur und verschiedenen Aspekten von Zeitgeschehen behandelt.


(die "Salonfrauen" mit zwei weiteren Bildbänden des Sandmann Verlages aus meiner Bibliothek, die ich empfehlen kann)

Mit dem Bildband "Salonfrauen - Leidenschaft, Mut, geistige Freiheit" setzt die Autorin Ulrike Müller Salonnièren der letzten Jahrhunderte ein Denkmal.
In einer Art üppigem Bildlexikon stellt sie Frauen vor, denen es mithilfe der Salonkultur gelang, an Ideen-und Wissensaustausch teilzuhaben, ungeachtet der Schranken von Klassen- und/oder Geschlechtszugehörigkeit.


"Im Mittelpunkt stand stets die Dame"


Nach einer einführenden Erklärung zur Geschichte und Entstehung der Salonkultur, werden, eingeteilt nach dem inhaltlichen Schwerpunkt der jeweiligen Salons wie Literatur, Politik & Philosophie, Musik und Kunst, die Salonnièren in Text und Bildern vorgestellt.
Das Spektrum reicht von Frauenbildung- und Rechten im Berliner Salon der Fanny Lewald über den musikalischen Salon der reichen Erbin des Nähmaschinenimperiums Winnaretta Singer-Polignac, dem rosafarbenen Expressionsimus Salon der Marianne von Werefkin bis zur Pragerin Berta Fanta, die mit Einstein über Naturwissenschaften "plauderte".

Ulrike Müller, promovierte Literaturwissenschaftlerin, schreibt fundiert und mit  Enthusiasmus über dieses, leider vergangene, Stück europäischer Geistesgeschichte. Nach dem ersten Weltkrieg kamen die Salons aus der Mode und sind in der Unterhaltungskultur aufgegangen.

Nicht nur die Autorin ist von der Utopie des Salons ergriffen, auch mir spukt die Vorstellung eines offenen Gesprächsraumes in einem festen, wenn auch zwanglosen Rahmens zu Themen aus Philosophie, Kunst oder Literatur im Kopf herum und das nicht erst, aber seit der Lektüre verstärkt.... Bis ich Sie alle zur Eröffnung einladen kann, betrachte ich das Blog als virtuellen Salon und lade Sie zur regen Teilnahme ein !

Mein Fazit : eine bereichernde,  ästhetisch ansprechende Einführung in die Salonkultur (die dringend wiederbelebt werden sollte).





Ulrike Müller

Salonfrauen


144 Seiten
Elisabeth Sandmann Verlag
978 3-938045-78-7

Dienstag, 17. Mai 2016

Die Shakespeare Festspiele #1 - "Der weite Raum der Zeit"

Anlässlich des 400. Todestages des größten aller Wortakrobaten, hat der britische Verlag "The Hogarth Press"   
8 renommierte Schriftsteller dazu gebracht ihre ganz persönliche Neuerzählung eines Werkes von William Shakespeare zu präsentieren.



Um es mit den Worten des Meisters zu sagen:
"Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode."

Die Veröffentlichung der einzelnen Werke, beginnend in diesem Frühjahr, zieht sich bis zum Herbst 2018 und wird in Deutschland vom Knaus Verlag betrieben. Wer sich gerne einen Überblick verschaffen möchte, kann das hier auf der Verlagsseite.

Den Anfang machen dieses Frühjahr die Neuerzählungen des Wintermärchens "Der weite Raum der Zeit" von Jeanette Winterson und "Shylock" aka Der Kaufmann von Venedig von Howard Jacobson.
Als bekennender Shakespeare Verehrer (wie könnte man als Büchernarr & Geschichtenliebhaber auch anders !) bin ich natürlich mehr als begeistert von diesem Projekt und werde s.e.l.b.s.t.v.e.r.s.t.ä.n.d.l.i.c.h alles lesen und meine eigenen Festspiele in Form einer losen Reihe mit verschiedenen Themen zum Barden aus Stratford-upon-Avon ausrichten.




Dass das Projekt sehr inspirierend wirkt, haben auch die beiden Bloggerkolleginnen von herzpotential bereits erfahren; hier geht es zur entsprechenden Seite

Genug der Vorrede, lasst die Spiele beginnen...

Jeanette Winterson, selbst Adoptivkind, bezeichnet das Wintermärchen als einen literarischen Glücksbringer, um den ihr Werk seit Jahren kreist.
Winterson versetzt die Handlung um den von blinder Eifersucht zerfressenen König Leontes und seinem Freund Polixenes, dem vermeintlichen Liebhaber seiner Frau Hermione, mühelos in unsere Zeit : Leo, der Banker, sein Freund Xeno, MiMi seine Frau, das ausgesetzte Findelkind Perdita, das sich später in New Bohemia, dem Königreich Neu Böhmens von Shakespeare, in den Sohn Xenos verliebt...
Virtuos spielt sie mit dem Personal Shakespeares, der Handlung, macht Pausen wie im Theater und tritt selbst gegen Ende als Zuschauer von den hinteren Plätzen nach vorne :

"Es ist ein Stück über Vergebung, Zukunft und darüber, wie beides ineinandergreift. Zeit ist umkehrbar."

Mein Fazit : "Der weite Raum der Zeit" ist ein mehr als gelungener Auftakt für das Shakespeare Projekt. Spannend, komisch, tragisch, modern, zeitlos. Nochmals in den Worten des Meister, wenn auch mit einem Zitat aus dem Sommernachtstraum :
"Gut gebrüllt, Löwe !"






Jeanette Winterson

Der weite Raum der Zeit


288 Seiten
Albrecht Knaus Verlag
978-3813506730





Sonntag, 15. Mai 2016

Glückskontinuum

seit frühen Kindertagen :


Bett, Buch, Gummibärchen



alles kann so einfach sein....

Mittwoch, 11. Mai 2016

"Schwarzes Gold" von Dominique Manotti

Weder Krimis (den Luxemburger Genußermittler Kieffer ausgenommen), noch Thriller, gar Politkrimithriller mit Wirtschaftshintergrund gehören zu meinem bevorzugten Literaturgenre. Und Romane, die im Präsens geschrieben sind, kann ich schon mal gar nicht leiden.
All das trifft auf Dominique Manottis neuen Roman " Schwarzes Gold" zu und gemäß meines Lieblingsmottos "Was-kümmert-mich-mein-dummes-Geschwätz-von-gestern", folgt im Anschluss ein Loblied.
Ich könnte noch meine Frankophilie anführen: die französische Gattungsbezeichnung  "roman noir" hört sich doch direkt viel ansprechender an...


mit extra schmutzigem Ölkanister !

Kurzum, grob zum Plot: 1973, Commissaire Daquin aus Paris kommt nach einem Auslandsjahr zur Marseiller Kriminalpolizei und direkt sein erster Fall katapultiert ihn in einen Sumpf aus Korruption, Seilschaften, Vorteilsnahme, Bestechung - nehmen sie alle Begriffe zum Thema, die Ihnen einfallen  = Bingo !
Vor dem Kasino in Nizza wird ein bekannter lokaler Unternehmer mit 10 exakt platzierten Schüssen niedergestreckt, was die hiesigen Polizeioberen/Richter/Staatsanwälte am liebsten als Abrechnungen im Milieu abtun. Daquin, als Fremder und argwöhnisch beobachteter Pariser, hat eigentlich keine Chance, aber die nutzt er.
Es geht von der Mafia über Geheimdienste, Freimaurern, Waffenhandel, globaler Wirtschaftsverstrickungen, Kunsthandel, der French Connection bis zum Öl,  Geißel unserer Zeit. 
Und alles ist noch viel schlimmer, als man es sich vorstellen kann; wie sagt Inspecteur Costa aus der Abteilung Finanzdelikte :

"Der internationale Handel ist ein riesiger Saustall"

Manotti entwickelt einen hochkomplexen Plot, der, auch wenn ich ihn sicher nicht an allen Stellen einhundertprozentig verstanden habe,  alles aufbietet an Spannung und Brisanz, die man sich nur wünschen kann. Manotti ist Professorin für Wirtschaftsgeschichte und das merkt man dem Roman jederzeit an, die Frau weiß, wovon sie schreibt !

Am Ende des Buches gibt es nicht nur ein beeindruckendes Nachwort in Zahlen und Fakten, sondern auch eine Liste mit weiterführender Lektüre, Links etc. Ich bin noch nicht vollständig durch, möchte aber den folgenden eindringlich empfehlen :
Das Geheimnis der sieben Schwestern

mein Fazit : alles lesen, wo Manotti draufsteht !!!! (sagt der alte Krimifan, muahharrrrr)



Dominique Manotti

Schwarzes Gold


384 Seiten
Argument Verlag mit Ariadne
978-3867542135

Montag, 9. Mai 2016

"Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek"....

...die eigentlich gar keine Reise, sondern vielmehr eine Flucht ist.
Der  zweite Roman von David Whitehouse, im englischen Originaltitel "Mobile Library" und wesentlich passender, erzählt die Geschichte von vier Menschen & Hund, die sich -aus Gründen- zu einer Wahlfamilie zusammenfinden.
Da ist zum einen Bobby Nusku, einsam, mutterlos, traumatisiert und zu allem Überfluss ausgestattet mit einem rohen, gewalttätigen Vater,  Val Reed und ihre Tochter Rosa geboren mit Trisomie 21, Bert der Hund und Joe, Waldmensch, der eigentlich ein schottischer Adelssohn ist.
Mit dem Bücherbus, einer rollenden Bibliothek, in der Val bis zu deren Schließung, als Putzfrau arbeitete, machen sie sich auf die Reise/Flucht quer durch Großbritannien. Natürlich lesen sie sich währenddessen kreuz und quer durch die Buchregale, denn sonst hätte der Autor als Fluchtwagen ja auch einen VW-Bus wählen können.....

Kitschcover mit Romantikranunkeln, dazu gefühlvolle Geige im Hintergrund
Sie merken, das Ganze segelt hart am Kitsch und manchmal auch direkt hinein (in diesem Zusammenhang sei auch das unsägliche Buchcover erwähnt). Nicht, dass ich etwas gegen guten Kitsch zur rechten Zeit in homöopathischen Dosen hätte, aber hier habe ich an einigen Stellen laut aufgejault. Mr. Whitehouse übertreibt es nicht nur mit seinem Personal und dem Plot, sondern auch im Ausdruck; wie weit das der Übersetzung geschuldet sein mag, müsste man im Originaltext prüfen (mach ich, wenn ich Zeit habe, muahharrrr)

"Bobby ging in Richtung des Teichgebiets......Auf dem stehenden Wasser trieben die Algen wie ein dicker, unappetitlicher Biskuitkuchen, der übelriechende Blasen in die Luft hinausrülpste."

Von allem zuviel, oder warum müssen die beschriebenen Schokoriegel, die eine Kioskbesitzerin zu einer Pyramide aufschichtet, in rubinroten Hüllen verpackt sein ? Weder Kiosk, noch Pyramide, noch die Hüllen tun irgendetwas für die Geschichte.
Es gibt noch schlimmere Stellen, die markiert sind, aber die möchte ich nicht abschreiben.

Kommen wir nun zur Schizophrenie des Ganzen: Trotz des nicht geringen Ärger- und Kitschpotenzials habe ich das Buch gerne gelesen. Es ist halt Frühling, mit Gefühlen und so......

Mein Fazit: ein bisschän Kitsch iss gut firrrr Seele 



David Whitehouse

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek


314 Seiten
Tropen
978-3-608-50148-3

Mittwoch, 4. Mai 2016

UNorthodox

Deborah Feldman, die heute mit ihrem Sohn in Berlin lebt, beschreibt in ihrem autobiographischen Roman "Unorthodox" ihre Kindheit, Jugend und schließlich ihren Ausbruch aus der strenggläubigen, chassidischen Satmarer Gemeinde in Williamsburg/New York.
Der Ursprung dieser ultraorthodoxen jüdischen Sekte geht zurück auf die Lehren eines ungarischen Rabbis am Beginn des 20.Jahrhunderts und orientiert sich in Lehre und Lebensweise an den altjüdischen Traditionen der osteuropäischen Schtetl. Ein zentrales Motiv ist die Ablehnung des Zionismus; der Irrsinn gipfelt in der in der Deutung des Holocausts :

"Wir lernen in der Schule, Gott habe Hitler gesandt, um die Juden dafür zu bestrafen, sich selbst erleuchtet zu haben. Er kam, um uns zu reinigen, um alle assimilierten Juden zu vernichten, alle frejen Juden, die dachten, sie könnten sich selbst vom Joch, die Auserwählten zu sein, befreien. Nun büßen wir für deren Sünden."

Kurzum, eine vollkommen fremde Welt im Big Apple, dem Symbol für Moderne und Fortschritt; paradox ! Ein treffenderes Beispiel für eine Parallelgesellschaft kann es nicht geben.
Vorschriften, Gebote, Repressionen, Tabus, Verhaltensmassregeln. 
Unterdrückung von Frauen und Kindern.
Kein Kontakt zu Nicht-Sektenmitgliedern, schon gar nicht zu Nichtjuden.
Kein Englisch sondern nur Jiddisch.
Kein direkter Blickkontakt zwischen Männern und Frauen undundund -  
alles, was  bei den Fundamentalisten jedweder Couleur unter den Deckmantel der Frömmigkeit passt....


schon aus Protest NUR mit Alkohol....
Es ist eine bizarre Welt aus der sich Deborah Feldman dank ihres Wissenshungers und nicht zuletzt ihrer Liebe zur Literatur schließlich befreien kann. Der Preis dafür ist der totale Bruch mit ihrer Familie und ihrem bisherigen Leben. Wer die Satmarer verlässt, ist ein Ausgestoßener.
Im Nachwort schreibt sie :

"Eine Religion, eine Gemeinschaft und eine Familie zu verlassen, hat einen hohen Preis. Ich musste lernen, Ruhe zu finden, selbst im Angesicht von Hass und Beschimpfungen aus meiner ehemaligen Gemeinschaft. Ich zog mich schließlich auf dieselben Hilfsquellen zurück, auf die ich auch als Kind angewiesen war; ich las Bücher, und die Geschichten dienten mir als Nahrung, die mir half, durch diese harten Zeiten zu kommen."

Mrs. Feldman hat ein faszinierendes, aufwühlendes Buch geschrieben, dem man nicht einfach nur viele Leser , sondern dem man auch die "richtigen" wünscht. Aber wie immer, werden es die Verblendeten, die es so nötig hätten, natürlich nicht mit der sprichwörtlichen Kneifzange anfassen. Wünschen wir dem Buch also die größtmögliche Anzahl an Lesern, denen ein wenig Sensibilisierung für die Thematik gut täte. Ach ja, und glänzend geschrieben ist es außerdem.

Wer mehr Informationen möchte, hier gibt es noch einen interessanten Artikel über die Williamsburger Ultras.

Mein Fazit : GUT. WICHTIG. LESEN.



Deborah Feldman

Unorthodox


319 Seiten
Secession Verlag
978-3905951790



Edit : hier ein interessantes Interview mit der Autorin http://www.radioeins.de/programm/sendungen/hoerbar_rust/
danke Melleni für den Hinweis !

Dienstag, 3. Mai 2016

Bilderbuch für Große (& Kleinere sowieso)

Leider sind die Zeiten, in denen ich dank Kleinstinfantin im Haus in Bilderbüchern schwelgte, vorbei.
Derart illustrierte Bücher für die etwas erwachsenere Leserschaft sind eher selten, um so mehr freut mich die Neuauflage der Erzählung "Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels" von Wolfgang Borchert im Atlantik Verlag mit den wunderbar zarten Illustrationen von Birgit Schössow :



Im Gesamtwerk von Borchert gibt es nicht viel zu lachen, ganz im Gegenteil. Sein kurzes Leben, geprägt von Diktatur, Krieg und Krankheit, spiegelt sich als  Grundtenor seiner Werke.
Auf die Forderung seiner Mutter hin, etwas Leichteres, Lustigeres zu schreiben, was seiner Gesundheit eher zuträglich sei, entstand die Geschichte rund um die Sprachfehler von Onkel und Kellner. 
Aber auch wenn die Erzählung der beiden grundverschiedenen Charaktere, vereint nur durch ihr "schschhhhhh", heiter und rührend daherkommt, ist das Grundmotiv wie fast immer bei Borchert ein Aufruf für die Menschlichkeit.

"Mein Onkel ergriff plötzlich mit seinen klobigen viereckigen Tatmenschenhänden die kleinen flatterigen Pfoten des Kellners und sagte mit der vitalen wütendkräftigen Gutmütigkeit und der tierhaft warmen Weisheit, die als primärer Wesenszug aller Riesen gilt :
"Armesch kleinesch Luder ! 
Schind schie schon scheit deiner Geburt hinter dir her und hetschen?""

Die Kirsche auf dem Kuchen des Genusses ist ein (bis unendlich viele) Zuhörer, denn dieser Text will gerne laut gelesen werden.
Abgesehen von der Lese-und Guckfreude an Schischyphusch, war dieses Buch Anlass, mich nach vielen Jahren nochmals mit dem Leben und Oeuvre Borcherts zu befassen. Es lohnt sich. Sehr.


Mein Fazit: Bitte mehr davon !





Wolfgang Borchert

Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels


64 Seiten
Atlantik 
978-3455370348